Deutschland spart – nur nicht am Krieg

Die Debatte um die Schuldenbremse zeigt: Schulden hin oder her, die staatliche Finanz- und Haushaltspolitik geht auf Kosten der Arbeiterklasse.

Autor: Rafael Mende

Seit einigen Monaten streitet sich die Politik medienwirksam um die Schuldenbremse. Besonders präsent ist das Thema seit dem 15. November 2023. An diesem Tag verkündete das Bundesverfassungsgericht ein Urteil, das die Ampel-Koalition in eine mittelschwere Krise stürzte: Es untersagte der Regierung 60 Mrd. Euro, die zu Pandemiezeiten für die Stärkung der Wirtschaft eingeplant worden waren, jetzt als Investitionen im Klimaschutz einzusetzen.

Eine große Peinlichkeit für die Koalition. Eigentlich sollte im Dezember der Haushaltsplan für das Jahr 2024 verabschiedet werden, weil aber plötzlich die 60 Mrd. fehlten und die Regierung den Plan anpassen musste, verzögerte sich der Prozess bis Februar 2024. Die Debatten drehten sich dabei vor allem um die Frage, ob und wie sehr sich der deutsche Staat überhaupt verschulden sollte.

Was ist so brisant an der Schuldenbremse? Die Schuldenbremse, wie sie heute existiert, wurde 2009 eingeführt. Mehr noch, sie wurde ins Grundgesetz geschrieben. Das macht es deutlich schwerer, sie wieder abzuschaffen, denn dafür muss sich im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit finden. Die Schuldenbremse beschränkt die Möglichkeiten des Staates, Kredite aufzunehmen. Nicht, dass er gar keine Schulden machen kann, aber es dürfen nur 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sein. Die Möglichkeit der Verschuldung ist außerdem erstens konjunkturabhängig, das heißt in einer wirtschaftlichen Notlage kann der Staat mehr Kredite aufnehmen, in wirtschaftlich rosigeren Zeiten weniger. Zweitens gibt es im Gesetz Ausnahmefälle: „Naturkatastrophen oder andere außergewöhnliche Notsituationen“ erlauben eine Umgehung der Regelung.

Für Krieg ist Geld da

An der Schuldenbremse hängt viel, dafür reicht ein Blick auf einige der politisch heißen Themen der letzten Monate. Die stagnierende deutsche Wirtschaft, 100 Mrd. Euro für Aufrüstung, die Bauernproteste, drohende Kürzungen im sozialen Sektor. Alle diese Themen hängen auch damit zusammen, dass die Bundesregierung versucht, mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzugehen und dabei die Schuldenbremse einzuhalten.

Zentral ist dabei die von Kanzler Olaf Scholz eingeläutete Zeitenwende, die Deutschland fit für den Kriegsfall machen und nebenbei auch als militärische Macht in der Welt etablieren soll. Die Aufrüstung ist in der Finanzplanung als unausweichlicher Posten gesetzt, dafür sorgt die Kriegslüsternheit des deutschen Establishments und ihre fleißige Agitation für die Mobilmachung gegen den russischen Feind. Dabei fordern übrigens auch Gegner der Schuldenbremse, diese zu reformieren, gerade damit langfristig die fortwährende Aufrüstung durch Schulden finanziert werden kann.

Auch die Proteste wütender Bäuer:innen in den vergangenen Monaten sind die Reaktion auf die Finanzpolitik der Ampel. Die Kürzungen bei den Agrardiesel-Subventionen, die die Ampel beschlossen und trotz der Proteste auch umgesetzt hat, wurden von Habeck erst als Maßnahme zum Umweltschutz verklärt, entstanden aber natürlich nur aus der Notwendigkeit heraus, Einsparungsmöglichkeiten zu finden.

Innerhalb der Ampel gibt es keine Einigkeit über die Zukunft der Schuldenbremse. Bei SPD und Grünen gibt es den zaghaften Wunsch nach einer Reform, die FDP ist strikt dagegen. Und mit der Opposition wird es keine grundlegenden Änderungen am Gesetz geben – weder mit der CDU, noch mit der AfD. Selbst für eine Reform stehen also die Karten eher schlecht, von einer Abschaffung ganz zu schweigen.

Haushaltspolitik als Klassenkampf von oben

Der Streit um die Schuldenbremse wird auch in den Medien und in der Wissenschaft geführt, dabei verläuft die Streitlinie im Wesentlichen zwischen konservativen und progressiven Liberalen. Erstere wollen an der Schuldenbremse festhalten, weil es strenge Regeln für solides staatliches Haushalten brauche, damit künftigen Generationen keine ungerechte Schuldenlast hinterlassen werde. Letztere plädieren für eine Reform der Schuldenbremse, da sie Staatsverschuldung nicht für an sich problematisch halten und darin ein wichtiges Werkzeug sehen, Investitionen zu tätigen, die die stockende deutsche Wirtschaft ankurbeln könnten.

Zwei Dinge gehen in der Debatte oft unter: Erstens finanziert der Staat seine Ausgaben nicht nur durch Kredite, sondern auch durch Steuereinnahmen. Wenn einem also ein solider Staatshaushalt wichtig ist, könnte man auch einfach die Vermögenden des Landes stärker zur Kasse bitten. Von den Geldbörsen der Reichen wollen aber alle – die Ampelparteien, die CDU und erst Recht die AfD – die Finger lassen. Die Schuldenfrage ist also auch eine Verteilungsfrage, eine politische Frage darum, welche Gesellschaftsschichten die finanziellen Lasten der Politik tragen.

Zweitens folgt aus dem Spardiktat zwangsläufig, dass zwischen verschiedenen Ausgaben abgewogen werden muss und dass manche Bereiche zugunsten von anderen leer ausgehen. Auch diese Entscheidung ist eine politische. Und auch diese wird im liberalen Politik- und Medienbetrieb recht einhellig zugunsten der herrschenden Klasse beantwortet. Mit oder ohne Schulden, es sind nicht die Lebensbedingungen der arbeitenden Klasse, die primär verbessert und gefördert werden sollen, sondern die Interessen Deutschlands als Wirtschaftsstandort und als Nation.

Das konservative Beharren auf der Schuldenbremse ist abzulehnen. Staatsschulden sind keine Privatschulden und der Staat muss seinen Haushalt nicht behandeln wie das Familienkonto. Allerdings hilft auch die Position der progressiven Liberalen nicht weiter, die bloß größeren Spielraum für Regierungen fordern, die dann Investitionen in Kapital und Militär tätigen können, ohne das Leben der Menschen nennenswert zu verbessern. Die Reallöhne sinken, von Bürgergeld und Renten kann man kaum noch leben, das Gesundheitswesen und der Bildungssektor bedürfen dringend finanzieller Mittel.

Das allgemein miserable Bild, das die Ampel abgibt und das viele Menschen auch ganz richtig erkennen, hat also nichts mit der Uneinigkeit über die Schuldenbremse im Parlament zu tun – wie die Medien es immer wieder in ihrer Rede von der „Regierungskrise“ der Ampel beschwören. Es ist in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass die deutsche Haushaltspolitik im wesentlichen Klassenkampf von oben ist – und diesen führt die Ampel nicht miserabel, sondern recht erfolgreich im Sinne der Konzerne und Reichen.

Debatte führt am Wesentlichen vorbei

Die Schuldenbremse ist ohne Zweifel ein Instrument, das den Handlungsspielraum der Regierung einschränkt und Fortschritt verhindert. Wichtiger ist aber die Einsicht, dass die Diskussion um Pro und Kontra der Schuldenregel oft am Kern vorbei geht. Egal wie die Verantwortlichen in Politik, Medien und Wissenschaft zu der Schuldenfrage stehen, letzten Endes geht die Politik zu Lasten derjenigen, die auch schon unter der Pandemie, den steigenden Preisen, der Kriegstreiberei und der sich immer weiter verschärfenden Ungleichheit im Land am meisten leiden.

Erschienen im April 2024, Zeitung des BDK „die proletin“, Ausgabe 05, Seite 8


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