Unsichtbar aber überall

Über irreguläre Arbeit auf dem Bau

Autor: Hans Holz

Martin* wohnt in einer ostdeutschen Großstadt und lebt von Gelegenheitsjobs. Die sind „schwarz“, d.h. ohne Anmeldung, ohne Sozialabgaben, ohne Steuern – und jenseits von jedem Mindestlohn. „Ich bin da über Kontakte reingekommen. Bei uns gibt es so einen Typen, der macht sein Geld damit, dass er Leute einsammelt, die er dann an andere Firmen vermittelt, die wiederum Subunternehmer weiterer Firmen sind, die einen Auftrag abzuarbeiten haben“, erzählt der Mittzwanziger. „Am Ende verdient der Typ, der uns einsammelt, und dann noch jeder Subunternehmer ein paar Euro auf unsere Köpfe.“

Das Subunternehmer-System in Deutschland ist weit verbreitet – insbesondere in bestimmten Bereichen, wie auf dem Bau. Zollbeamte beklagen regelmäßig öffentlich, dass im Baugewerbe Schwarzarbeit „eher die Regel als die Ausnahme“ sei. Gemeint sind dabei keineswegs einfach selbständige Handwerker:innen, die ihre Arbeit ab und an „ohne Rechnung“ machen, sondern es handelt sich hier um organisierte Kriminalität in riesigen Ausmaßen, oft in Kombination mit Menschenhandel, Lohndrückerei und gelegentlich auch unter Einsatz physischer Gewalt. Prozesse oder gar Verurteilungen gibt es selten, aber für alle, die in dem Bereich arbeiten, ist es ein offenes Geheimnis: Es gibt kaum eine größere Baustelle, auf der nicht Arbeiter:innen zu finden sind, die kaum Deutsch sprechen, ihre Rechte nicht kennen, und meist über keinerlei Schutzausrüstung verfügen.

Martin kennt das aus eigener Erfahrung nur zu gut. Ihm wurde ein Job angeboten, bei dem er in sieben Metern Höhe Lampen an einem Supermarkt tauschen sollte, jedoch fuhr man ihn in das Aluminiumwerk eines multinationalen Unternehmens. Da waren in der Produktionshalle zwar tatsächlich Beleuchtung zu tauschen, allerdings in 27 Metern Höhe, und ohne Einweisung in den Gebrauch eines Hubsteigers oder eine Versicherung. Sein Lohn: 10 Euro die Stunde, bar. Ein anderes Mal wurde er für eine „Entrümpelung“ gebucht. Auf der Baustelle angekommen, stellte der zusammengewürfelte 5er- Trupp fest, dass es sich um eine Entkernung handelte. „Irgendwann ist dann einer der Kollegen losgegangen und mit FFP2-Masken zurückgekommen, damit wir wenigstens irgendeinen Atemschutz hatten, weil wir mussten Asbest abreißen.“ Nach hause, so Martin, sei trotzdem keiner gegangen. „Alle hatten einen Hals auf den Chef, sogar der Vorarbeiter. Aber wir brauchten die Kohle.“

Illegale Beschäftigungsverhältnisse auf dem Rücken von Arbeiter:innen sind in Deutschland Gang und Gäbe. Sie sind das Offensichtliche, über das dennoch wenig gesprochen wird. Im Gegenteil: Man kann vermuten, dass die Politik nicht nur untätig ist, sondern diese Machenschaften sogar aktiv verschleiert. In die Ausschreibungen der öffentlichen Bauverfahren ist meist schon eingepreist, dass da nicht alles mit rechten Dingen zugehen kann und soll – denn sonst würde das ja zu teuer für die großen Bauunternehmen, die allesamt beste Beziehungen in die politische Kaste unterhalten, und Profite wollen.

Wie so etwas aussehen kann, zeigt ein Berliner Fall. Im Jahr 2019 titelte die BZ über eine Firma: „Gegen diesen Berliner Bau-Mogul wird nun ermittelt“ – und meinte damit die Geschäftsführer der ANESBau. Denen werde „vorgeworfen, ausländische Billiglöhner illegal nach Deutschland gebracht und auf ihren Baustellen ausgebeutet zu haben. Zum Schaden der Opfer, ehrlich arbeitender Mitbewerber und der Sozialkassen.“

Dieser brisanten Enthüllung folgten keinerlei Konsequenzen. Es wurde bis heute kein Verfahren eröffnet, Zoll und Staatsanwaltschaft geben keinerlei Auskunft darüber warum nicht. Stattdessen verleiht der rot-links-grüne Senat den Chefs der ANES 2021 den Preis „Vielfalt unternimmt“ für migrantische Unternehmen, ausgelobt von Ramona Pop (Grüne). Bis heute baut die ANES auf öffentlichen Baustellen mit Geldern des Senats und der stadteigenen Wohnungsunternehmen. Offiziell wird der Anteil von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung am Bau wohl auf etwa 27 Prozent geschätzt, jedoch liegt die Vermutung nahe, dass Unterschreitung von Mindestlohn, Schwarzarbeit, Menschenhandel, und dergleichen kein Minderheitenphänomen, sondern eher die Regel auf dem Bau sind.

Im Rahmen der Recherche des Autors über die ANES Bauausführungen GmbH, gibt eine SPDSprecherin auf Nachfrage hin nur zu Protokoll, dass es nicht ihre Aufgabe sei, diesbezüglich nachzuforschen. Außerdem habe die Senatsverwaltung vor der Preisverleihung nichts von den Anschuldigungen gewusst. Ein vom Senat beauftragter Bauunternehmer wird also mit mehreren hundert Beamten durchsucht und der Senat nimmt selbst nach Berichten der Hauptstadtpresse keine Notiz.

Wahrscheinlicher als diese Erklärung ist eine andere: Der Filz zwischen Stadtregierung, Bau- und Immobilienwirtschaft schließt nicht nur aktiv beide eigenen Augen, sondern gleich noch die von Gewerkschaften und eigentlich für dieses Thema zuständigen NGOs mit. Sie alle wissen: In vielen Niedriglohnbranchen muss auch der legal erlaubte Niedriglohn noch weit gedrückt werden, damit der Profit der Konzerne wächst und wächst

Erschienen im Oktober 2023, Zeitung des BDK „die proletin“, Ausgabe 04, Seite 2


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