Streikwelle in Europa

In mehreren Ländern legen heftige Arbeitskämpfe Teile der Wirtschaft lahm

Autor: Rafael Mende

Nicht nur in der Bundesrepublik erleben wir derzeit einen Anstieg an Arbeitskämpfen. In ganz Europa wird gestreikt und protestiert, seit Jahresbeginn etwa in Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Belgien, den Niederlanden, Italien, Portugal und Spanien.

Die konkreten Anlässe sind von Land zu Land verschieden, die Zahlen oft beachtlich. In Frankreich protestieren seit Januar Millionen Menschen gegen eine von Präsident Macron geplante Änderung des Rentensystems allein am 7. März zwischen 1,3 und 3,5 Millionen. In Großbritannien ereignet sich die größte Streikbewegung seit 40 Jahren. Mehrmals streikten in diesem Jahr schon hunderttausende Lehrer:innen, Pflegekräfte, Eisenbahn- und Postangestellte und viele weitere Beschäftigte gegen die fortwährende Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. In Griechenland sind die Proteste eine Reaktion auf das schwerste Zugunglück in der Geschichte des Landes Ende Februar. Weit mehr als 10 000 Arbeiter:innen folgten gewerkschaftlichen Aufrufen zum Streik und forderten ein Ende der Privatisierungspolitik im Transportwesen. In Belgien, den Niederlanden, Italien und Portugal streiken Bahnmitarbeiter:innen, in Spanien Flughafenangestellte. Öffentlichen Verkehrssysteme werden lahmgelegt, die Folgen sind auch in Deutschland spürbar.

Neben ihrer Größe beeindrucken viele dieser Kämpfe durch eine hierzulande unerreichte Schlagkraft und Radikalität. In Frankreich etwa besetzen Angestellte in Kraftwerken und Raffinerien ihren Arbeitsplatz und verteilen die Lieferungen von Strom und Benzin um. Orten wie dem Büro des Senatspräsidenten Gérard Larcher, dem Stade de France mitsamt der Baustelle des Olympischen Dorfes und einer Amazon-Zentrale wurde zeitweise der Strom abgestellt.

In Großbritannien streikt eine junge, radikalisierte Generation von Arbeiter:innen mit, die eine Verbindung mit anderen Bewegungen sucht, z.B. der Klimabewegung oder Initiativen gegen
Zwangsräumungen und Polizeigewalt.

Allerdings haben die Streikbewegungen auch mit Widrigkeiten zu kämpfen. Die Gewerkschaften sind vielfach gespalten, die großen und mächtigen unter ihnen hinken oft hinter der kämpferischen Stimmung der Arbeiter:innen her und bremsen so die Kämpfe. Gleichzeitig wird von Seiten der Regierungen versucht, die Streiks zu auszusitzen und das Streikrecht einzuschränken.

Trotzdem stehen die Entwicklungen für eine neue, heißere Phase des Klassenkampfes in Europa. Überall richten sich die Kämpfe gegen die Folgen der jüngsten Krisen des Kapitalismus, gegen Spar- und Privatisierungspolitik, gegen die ständige Verschlechterung der Lebensgrundlage der Meisten bei gleichzeitig rasant wachsendem Reichtum der Wenigen. Da es keine Aussicht auf eine baldiges Ende dieser Umstände gibt, werden wohl auch die Kämpfe so schnell nicht verschwinden. Wir in der BRD können sie uns zum Vorbild nehmen, der Sozialpartnerschaft den Kampf ansagen und versuchen, die verschiedenen Arbeitskämpfe zu einem gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen den Kapitalismus zu verbinden.

Erschienen im April 2023, Zeitung des BDK „die proletin“, Ausgabe 03, Seite 6


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