In Deutschland wird – vorsichtig, aber doch – mehr gestreikt. Grund genug für die Eliten, das Recht der Arbeiter:innen auf Streik in Frage zu stellen.
Autor: Peter Schaber
Traditionell ist Deutschland im Ländervergleich ein wenig streikfreudiges Land. Eine auf OECD-Werten basierende Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IDW) ermittelte im Durchschnitt für die Jahre 2007 bis 2017 für die Bundesrepublik 7 durch Streik ausgefallene Arbeitstage auf 1000 Arbeiter. In Frankreich etwa waren es 123. Die in der Nachkriegszeit etablierte „Sozialpartnerschaft“ zwischen Bossen und meistens der SPD nahestehenden Gewerkschaftsfunktionären war darauf ausgerichtet, möglichst wenig Eigeninitiative der Arbeiter:innen zuzulassen und wirkliche Streiks abzuwürgen.
Doch es kam Corona und die „Zeitenwende“ – und mit ihr eine seit vielen Jahrzehnten nicht dagewesene Verarmung von Arbeiterfamilien. Viele Branchen verzeichneten schon während Corona Nullrunden, der Reallohn sank allein von 2021 zu 2022 laut Statistischem Bundesamt um 4,2 Prozent. Dem Druck der Belegschaften konnten sich nun auch die Gewerkschaftsführungen nicht mehr ganz entziehen und so stand zumindest in einigen Branchen die Androhung von Erzwin- gungsstreiks im Raum, in vielen Branchen kam es zu Warnstreiks.
Aber streiken in Deutschland, das darf nicht sein! Wo die unterwürfige „Verhandlungsbereitschaft“ hochbezahlter hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionäre versagt, greift eine von Mainstreammedien, Politikern und Bossen geschmiedete Hetzkampagne gegen die Streikenden. Die Medien – allen voran Springers Welt und Bild – verunglimpfen die Streiks als Angriff auf den „normalen Bürger“, während die Unternehmerverbände seit langem eine Kampagne zur weiteren Aushöhlung des Streikrechts begonnen haben. Schon im Februar forderte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Streiks gesetzlich zu sanktionieren, weil sie sonst „zunehmend unberechenbar“ würden. Knapp ein Monat später legte dann die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) nach und erklärte nach einer von ihr selbst in Auftrag gegebenen Gefälligkeitsumfrage, dass eine Mehrheit der Deutschen für eine Einschränkung des Streikrechts wäre. Das wiederum wurde sofort aufgegriffen von dem neoliberalen Kampfblatt Welt. Dass es sich hierbei nicht nur um Säbelrasseln handelt, zeigte im vergangenen Jahr schon der Streik der Hamburger Hafenarbeiter:innen. Die „Arbeitgeber“-Seite forderte die Ausrufung des „nationalen Notstands“, um die Arbeiter:innen zurück zur Arbeit zur zwingen und schickte ich an, die Ausstände gerichtlich zu verbieten.
Das Streikrecht in Deutschland ist – auch im Vergleich zu anderen europäischen Staaten – ohnehin sehr kapitalistenfreundlich. „Politische Streiks“ sind verboten, die Ausstände an hohe rechtliche Hürden gebunden und von Gewerkschaften begleitet, die seit vielen Jahrzehnten gewohnt sind, das Wohl des „Standorts“ über das Wohl der Arbeiterklasse zu stellen. Die kommenden Jahre werden zeigen, in welche Richtung sich dieses Kräfteverhältnis bewegt. Treiben die Belegschaften eine wirkliche Durchsetzung von Arbeiterinteressen voran? Oder kommt die weitere Beschränkung von Arbeiterrechten? Wie das ausgeht, entscheidet die Kampfbereitschaft der Werktätigen.
Erschienen im April 2023, Zeitung des BDK „die proletin“, Ausgabe 03, Titelblatt