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Streik verboten – die Misere hält an

Ein Einblick in die Lage der Berliner Kitas. Wir sprachen mit Kolleginnen bei landeseigenen und freien Trägern.

Die Berliner Kitas stehen am Rande des Zusammenbruchs. Zu wenig Personal, viele kranke Kolleg:innen, ständig Notbetreuung, Kinder, die nicht angemessen gefördert werden können – der Ausnahmezustand ist längst zur Normalität geworden. Während die Erzieher:innen ständigem Stress ausgesetzt sind und dafür kämpfen, dass wenigstens überhaupt eine Form der Betreuung stattfindet, hetzte die bürgerliche Presse letzten Herbst gegen ihre Streiks, die einzig und allein eine Verbesserung der Zustände zum Ziel haben. Wir haben Monate später mit zwei Erzieherinnen über die aktuelle Lage gesprochen. Lotta (Name geändert) arbeitet in einem der Berliner Eigenbetriebe in Südberlin und war aktiv an Warnstreiks und Vorbereitungen beteiligt, Ronny macht ihre Ausbildung in einer Kita eines freien Trägers und beobachtete den Kampf von „außen“. Ihr Fazit: Ohne Widerstand wird sich nichts ändern – aber die Hoffnung schwindet.

„Das ist im Grunde genommen eine Frechheit gewesen, weil die Situation schon vorher miserabel war“, erklärt Lotta. „Wir hatten vorher schon keine verlässliche Betreuung“. So mussten die Eltern ihre Kinder später bringen und früher abholen aufgrund eingeschränkter Öffnungszeiten. Oder es gab ganze Gruppenschließungen. Die Handhabung mit der Krise ist von Kita zu Kita unterschiedlich – auch hier war eine Forderung im Streik, das System zu vereinheitlichen. „Wir haben versucht durch die Streiks die Situation zu verbessern“ stellt Lotta klar. Doch der Hoffnungslosigkeit und Erschöpfung folgte schnell auch der Wille, weiterzukämpfen. Denn die Alternative ist ein Kollaps des gesamten Systems.

Freie Träger: Die unsichtbare Krise

Ronny, Erzieherin bei einem freien Träger, durfte nicht streiken. Aber sie und ihre Kolleg:innen haben den Kampf der landeseigenen Kitas genau verfolgt. „Wenn sich dort etwas verbessert, müssen auch die freien Träger nachziehen. Sonst will irgendwann niemand mehr hier arbeiten“, sagt sie. Doch auch in ihrer Kita ist die Situation katastrophal. Ständig Notbetreuung, Kinder werden hin- und hergeschoben, Angebote fallen aus, Sprachförderung findet nicht statt. Um die Krise zu verschleiern, werden zum Beispiel Bad und Flur in den Mindestraum pro Kind eingerechnet. Doch so sehr wie diese Tricks für Senatorin Günther-Wünsch auf dem Papier gut aussehen, so wenig können sie über die Lage hinwegtäuschen. Die Belastung ist enorm, viele verlassen den Job. Ronny selbst überlegt, in einen anderen sozialen Beruf zu wechseln. Dort ist es zwar auch alles andere als perfekt, aber immer noch weniger stressig als in den Berliner Kitas. Gerade in ihrer, die viele Kinder mit Förderbedarf betreut, ist die Lage besonders brisant. Integrationsfachkräfte fehlen, die Aufgaben bleiben an den Erzieher:innen hängen. „Wir müssen Dinge übernehmen, für die wir gar nicht ausgebildet sind.“ Währenddessen steigen die Anforderungen: Immer mehr notwendige Betreuung, immer mehr Zeit, welche die Kinder in der Kita verbringen und trotzdem zunehmend weniger Unterstützung. „Ein Kind ist elf Stunden am Tag in der Kita. Das ist nicht gesund – für niemanden.“ Auch die Beziehung zu den Eltern ist zwiespältig. Erzählte Lotta noch, dass einige Eltern die Kolleg:innen nach dem Streikverbot trösteten, macht Ronny die Erfahrung, dass die Haltung der Eltern vom Bezirk abhängt. Eltern die selbst in prekären Jobs arbeiten, sind eher für den Streik; in reicheren Gegenden wie Steglitz, sind die meisten Eltern dagegen. Insgesamt habe sich das Stimmungsbild nach dem Streik durch die Arbeitskampf-feindlichen Schlagzeilen verschlechtert.

Gute Erziehung ist möglich

Selbstverständlich wäre die Erziehung der Kinder auch anders möglich. Helle Räumlichkeiten, kleine Gruppen, ausreichend Spielzeug, genügend Fachkräfte für Sprachförderung, insgesamt mehr Personal und die schnelle Reparatur oder Ersatz von Dingen, falls etwas kaputt geht. Da sind sich Lotta und Ronny einig. All das wäre wichtig, damit für die Kinder ein Umfeld geschaffen werden kann, in dem Erziehung gelingt. Auch mehr Unterstützung für Azubis wäre wünschenswert, da die Anforderungen an sie zugenommen haben, ebenso wie die Fülle der Aufgaben. Zu wenig Lohn am Ende des Monats und Überlastung bis zur Kündigung sind das, was aktuell bleibt. Das wiederum senkt natürlich die Attraktivität des Berufs. All diese Verbesserungen wären möglich, gäbe es massive Investitionen. Die allerdings bleiben aus oder werden verschleppt. Das frustriert und sorgt dafür, das Vieles auf der Strecke bleibt. Wenn die Kinder dann eingeschult werden, setzen sich ihre Defizite fort und die Lehrer:innen in der Grundschule sind nicht in der Lage aufzuholen, da der Druck dort wiederum ebenfalls sehr hoch ist und Lehrkräfte knapp.

Was jetzt? Kämpfen statt kapitulieren!

Trotz allem geben sich die Erzieher:innen nicht geschlagen. Unterstützung von Außen, insbesondere der Eltern und Solidaritätsaktionen aus der Stadtgesellschaft – all das hält die Bewegung am Leben. Lotta erzählt von der Streikvorbereitung: „Also von der Roten Lilly, mit denen arbeitet ihr als IKA ja auch, war das ein starkes Angebot, den Raum eventuell zu nutzen, als wir den Streik noch geplant haben. Dann hatten wir auch bei Demos und Streiks viele Grußbotschaften und Reden von anderen Gruppen, wie den Krankenhäusern oder von der BSR. Teilweise auch aus anderen Bundesländern. Das ist natürlich immer unheimlich gut.“ Ronny und Lotta sind sich einig in der Antwort, wie man die Kolleg:innen in ihrem Kampf unterstützen kann: Der Druck muss weiter steigen. Die nächste Tarifrunde kommt. Dann muss die Streikfront noch breiter werden. Eltern, Kolleg:innen, solidarische Menschen – es braucht mehr als nur Verständnis. Es braucht laute Stimmen, Demonstrationen, politischen Druck und Gegenpresse, die die Diffamierung der Mainstreampresse entlarvt und die Erzieher:innen in ihrem Kampf unterstützt, anstatt sie zu schwächen. Die Frage ist nicht mehr, ob das System kippt, sondern wann. Und ob wir uns das gefallen lassen. Denn eigentlich lieben die Erzieher:innen ihren Beruf, weil sie die Kinder bei ihrer Entwicklung begleiten können. Das würden sie gerne weiterhin tun, doch von Seiten der Verantwortlichen in Politik werden ihnen große Steine in den Weg gelegt.

admin

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